Leseproben
Mariechen (Saskia Klatt)
Jeden ersten Sonntag im Monat sind nachmittags von 14:00 bis 16:00 Uhr die Türen der Auferstehungskapelle auf dem Südfriedhof für Besucher geöffnet.
Musik, Stille, Momente der Andacht, Augenblicke des Erinnerns und Verweilens.
MitarbeiterInnen der Hospizinitiative sind da, zum Zuhören und zum Gespräch.
Eine alte Frau sitzt schon länger in einer Bank, zusammengesunken, manchmal beben ihre Schultern ganz leicht.
Ich setze mich zu ihr, warte…
Leise sagt sie: „Das verzeiht er mir nie, nie, nie, nie.“
Sie beginnt zu erzählen von ihrem Mann. Schon fast drei Jahre ist er tot. Im Krieg haben sie geheiratet, sie war noch sehr jung.
Er wurde vermisst, dann die Nachricht, dass er lebt.
Die Zeit der russischen Gefangenschaft.
Als er wiederkommt, das Versprechen:
– „Nichts und niemand soll uns je wieder trennen“ –
Fast alles machen sie zusammen. „Sogar beim Wäschelegen und beim Kochen hat er mir geholfen, so was hat sonst kein Mann gemacht!“
Liebevoll kümmert er sich um sie. Wenn sie müde oder krank ist, kocht er Tee und legt ihr die Füße hoch.
Nicht einmal ein Kind hat Platz in ihre Zweisamkeit.
Als ihr Mann vor 4 Jahren krank wird, steht für beide fest:
„Das stehen wir gemeinsam durch.“ und „schick mich nicht weg!“ und „ich bleib bei dir…“
Dann die Nacht, in der ihr Mann aus dem Bett fällt,
ihre Hilflosigkeit, der Notarzt…
„Seinen letzten Blick, als sie ihn raustrugen,
den vergess’ ich nie, nie, nie, nie.“
Im Krankenhaus hat er dann nicht mehr sprechen können.
Nun kommt sie zum Grab und weint, jedes Mal.
Und jedes Mal das Verzweifeln.
„Wenn ihr Mann Sie so sehen könnte, so traurig und so verzweifelt, – was würde er Ihnen jetzt wohl sagen?“
„Mariechen, komm, nu is wieder jut!“
September (Wiebke Bourgin)
Gerhard, lass es uns im Heute gut gehen,
das tun, was wir schon so häufig beschworen haben.
Im Freundeskreis uns an dem erfreuen, was da ist:
Die Freunde, die Sonne,
der Duft von Bäumen, Blumen und Büschen.
Spätsommerlich? Frühherbstlich?
Lass uns die Früchte genießen und den Wein,
lass uns das genießen,
was wir haben an Reife, an Kraft.
Lass uns das Licht der Sonne und ihre Wärme mit
In die dunkle Zeit nehmen,
damit wir davon zehren können,
wenn die Tage dunkler
und die Nächte länger werden.
So wie der Igel zehrt von seinem Speckpanzer
einen ganzen Winter lang.